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Pidgin- und Kreolensprachen

unter besonderer Berücksichtigung der Bickerton'schen Theorie
einer angeborenen Universalgrammatik

 

Hausarbeit zum Seminar Kontrastive Analyse
unter der Leitung von Frau Wesely

Universität Bonn
Wintersemester 96/97

 

vorgelegt von
Dr. Christoph Grandt

 

Bonn, im November 1996


 

Zusammenfassung

Die Ähnlichkeit verschiedener Kreolensprachen sowie die Mechanismen der Kreolisierung von Pidgins legen die Vermutung nahe, daß die Kreolensprachen das Abbild eines angeborenen Sprachkonzepts sind. Diese These wird im folgenden begründet und, soweit im gegebenen Rahmen möglich, kritisch beleuchtet.

 


 

Was ist Pidgin? Was ist Kreolisch? Der Versuch einer Definition

 

Wie umstritten die Begriffsdefinitionen der Kreolistik noch einhundert Jahre nach den grundlegenden Arbeiten ihres Begründers Hugo Schuchards sind, mag das Zitat ausdrücken, mit dem Peter Mühlhäusler sein Standardwerk Pidgin & Creole Linguistics beginnt:

„To a creolist, almost everyone else's definition of a creole sounds absurd and arbitrary; yet creolists communicate and collaborate with their colleagues just as Slavicists and Amerindianists do." (DeCamp 1977:4)

Wenn gebildete Nicht-Sprachwissenschaftler nach den Begriffen Kreolisch und Pidgin gefragt werden, so werden sie wohl beides mit Mischsprache übersetzen und vielleicht vermuten, daß das Wort Kreolisch romanischen und Pidgin englischen Ursprungs ist. So ganz falsch ist zumindest letztere Vermutung nicht, wenn auch die genaue Etymologie noch im Dunkeln liegt. In der Sprachwissenschaft hat sich jedoch eine andere, grundlegendere Unterscheidung zwischen Kreolisch und Pidgin herausgebildet.

Ein Pidgin hat per Definitionem keine Muttersprachler. Als Pidgin bezeichnet man diejenige stabile Kontaktsprache, die sich innerhalb einer Generation ausbildet, wenn Menschen unterschiedlicher Sprachherkunft miteinander leben und kommunizieren. (Die Tatsache, daß häufig auch die zweite offizielle Sprache Neuguineas als „Pidgin" bezeichnet wird, stiftet hier Verwirrung. Diese ist teilweise schon ein Kreolisch.)

Die Vorstufe zum Pidgin bildet der sogenannte Jargon, eine grammatikalisch sehr reduzierte Hilfssprache, die lediglich die Grundbedürfnisse der Kommunikation befriedigt. „Me Tarzan — you Jane" ist der Prototyp der Geburt eines Jargons.

Pidgins überleben selten mehrere Jahrzehnte. Nur wenn der interkulturelle Kontakt länger währt und institutionalisiert ist, wie z.B. im Falle der Sklaverei, oder bei Heirat von Tarzan und Jane, kann sich das Pidgin stabilisieren und sich schließlich, in der nächsten Generation, zu einem Kreolisch entwickeln. Es gibt allerdings auch Fälle, in denen Pidgins Jahrhunderte überlebt haben, so die berühmte Lingua Franca des Mittelmeeres, das Sabir, ein romanisches Pidgin, welches seit den Kreuzzügen dokumentiert ist und noch zu Zeiten Schuchards lebendig war (Schuchard 1909).

Im Gegensatz zum Pidgin bezeichnet man mit Kreolisch diejenige Sprache, die in der nächsten Generation von Kindern einer Mischgesellschaft gesprochen wird und die dann meist über mehrere Generationen hinweg stabil bleibt. Gerade diese Stabilität, oft äußeren Einflüssen hartnäckig widerstehend, ist bemerkenswert. So benutzen auf der Insel Mauritius alle Volksgruppen immer noch ausschließlich ein auf dem Französischen basierendes Kreolisch, obwohl doch Englisch seit 1814 Staatssprache ist. An der Frage, auf welche Weise eine Kreolensprache eigentlich entsteht, entzündet sich der sprachwissenschaftliche Disput, auf den in den nächsten Kapiteln eingegangen wird.

Folgendes Schaubild faßt die Terminologie noch einmal zusammen.

 

Jargon (Zweitsprache, instabil)

ê

Pidgin (Zweitsprache, stabil)

ê

Kreolisch (Erstsprache, stabil)

 

Obwohl hier dieses Schema benutzt werden soll, sei darauf hingewiesen, daß es so einfach meistens doch nicht ist, denn die dynamischen historischen Entwicklungen stehen einer solchen Geradlinigkeit oft entgegen. So kann zum Beispiel eine „Re-pidginisierung" des Kreolischen eintreten, sobald sich die Bevölkerungszusammensetzung durch starke Einwanderung innerhalb eines kurzen Zeitraums ändert. Dies ist in Surinam dokumentiert, wohin wegen der hohen Sterblichkeit auf den Plantagen immer wieder neue Arbeitskräfte von den verschiedensten Sprachräumen verschleppt wurden (Mühlhäusler 1986:9).

 


 

Kreolisch als Abbild eines angeborenen Sprachprogramms. Die Theorie von Derek Bickerton.

 

Linguistikstudenten pflegen sich gewöhnlich zu amüsieren, wenn man ihnen die Geschichte von Psammetich I., Pharao im Ägypten des siebten Jahrhundert vor Christus, erzählt, der versuchte, die Ursprache des Menschen zu entdecken. Er nahm dazu angeblich zwei Kinder aus der Obhut ihrer Eltern und traute sie einem Schafhirten an, der sie von allen Menschen fernhalten und mit ihnen niemals sprechen sollte. Der erste Laut, den diese Kinder schließlich hervorbrachten, war „bekos", was im Phrygischen „Brot" bedeutet. So wurde denn daraus geschlossen, berichtet Herodot, daß Phrygisch die Ursprache der Menschheit sei.

Abgesehen von der Unmenschlichkeit seines Tuns, ist denn aber der Gedanke, daß wir ein angeborenes Sprachprogramm besitzen, welches dem Spracherwerb zugrunde liegt, wirklich so absurd? Um dies zu überprüfen ist es, nach Bickerton, nicht einmal nötig, Menschen zu isolieren. Das Psammetich-Experiment wurde nämlich in etwas abgewandelter Form millionenfach durchgeführt, und zwar bei den Kindern von Sklaven und Arbeitern, die auf den tropischen Plantagen der Europäer leben mußten und die aus dem Sprachengemisch bzw. dem Pidgin ihrer Umgebung eine eigene Sprache entwickelten: das Kreolische.

Wie aber läßt sich sprachwissenschaftlich entscheiden, ob die Entstehung des Kreolischen aus den Sprachen der Umgebung heraus erklärt werden kann, oder ob dabei tieferliegende, vielleicht neurologische, Prinzipien zugrunde liegen? Drei Möglichkeiten bieten sich an:

Der Prozeß der Kreolisierung eines Pidgins wird am konkreten Beispiel einer Bevölkerung analysiert, wobei geprüft wird, ob sich das entstehende Kreolisch aus den Ursprungs- oder Umgebungssprachen ableiten läßt oder ob etwas „Neues" entsteht.

Es werden verschiedene heute existierende Kreolensprachen auf Gemeinsamkeiten hin untersucht, die nicht durch die (meist europäischen) Basissprachen zu erklären sind.

Es wird untersucht, ob diejenige Sprache, welche Kinder im Alter von 2 bis 4 Jahren sprechen, Gemeinsamkeiten mit den Strukturen von Kreolensprachen aufweisen.

Besonders zu Punkt 1 hat Derek Bickerton ausgiebige Untersuchungen auf Hawaii angestellt. Hawaii bot sich für entsprechende Forschungen an, da dort Ende der 70er Jahre immer noch Sprecher der ersten Einwanderergeneration lebten. So konnte das Kreolisch der zweiten Generation nicht nur mit dem Englischen, sondern auch mit dem Pidgin der ersten Generation direkt verglichen werden. Dabei stellte sich heraus, daß zwischen dem Pidgin und dem Kreolisch fundamentale strukturelle Unterschiede bestehen. Während das Hawaii-Pidgin kaum über nennenswerte grammatikalische Strukturen verfügt (es werden im wesentlichen Substantive, Verben usw. aneinandergereiht), besitzt das Kreolische eine völlig neue, stabile, und über alle Inseln einheitliche Grammatik. Und obwohl das kreolische Vokabular natürlich zum Großteil aus dem Englischen entlehnt ist, gibt es zwischen der kreolischen und der englischen Grammatik Unterschiede, wie an einigen Beispielen erläutert wird.

 

 

Englisch

Hawaii-Kreolisch

a)

I am going to the store to buy shirts/a shirt.

I stay go da store for buy shirt.

b)

John and his friends are stealing the food.

John-them stay cockroach the kaukau.

c)

The two of us had a hard time raising dogs.

Us two bin get hard time raising dog.

d)

If I had a car, I would drive home.

If I bin get car, I go drive home.

e)

John went to Honolulu to see Mary.

John bin go Honolulu go see Mary.
John bin go Honolulu for see Mary.

 

Während man sich im Englischen oft eindeutig für Plural oder Singular entscheiden muß, zum Beispiel ob man ein Hemd oder Hemden kaufen möchte, ist dies im Kreolischen offen (Beispiel a). Dies ist übrigens auch in der indonesischen Sprache der Fall, der von einigen Autoren kreolische Eigenschaften nachgesagt werden (Hall 1966:18).

Das Kreolische ersetzt fast alle synthetische Strukturen des Englischen durch analytische. So wird eine Vorzeitigkeit nicht durch das Suffix „–ed" ausgedrückt, sondern durch die vorgestellte Partikel „bin" (Beispiel c).

Im Kreolischen wird der nicht-punktuelle Aspekt des Verbs (im Englischen: Verlaufssform) durch Voranstellung des Hilfsverbs „stay" ausgedrückt (Beispiele a und b).

Zur Bezeichnung von irrealen oder möglichen Handlungen (Modalität) benutzt das Kreolische durch die vorangestellte Partikel „go" (Beispiel d).

In Beispiel (e) ist es im Englischen nicht klar, ob John Mary nun gesehen hat oder nicht. Während es im Englischen also oft nicht möglich ist, zu unterscheiden, ob ein angestrebtes Ziel auch verwirklicht worden ist oder nicht, muß im Kreolischen diese Information enthalten sein. Wenn ja, steht im Kreolischen die Partikel „go", wenn nicht, steht die Partikel „for".

 

Insgesamt kommt Bickerton zu dem Schluß, daß sich das Kreolische grundlegend sowohl vom Pidgin der ersten Generation, als auch vom Englischen unterscheidet und daß sich die kreolischen Strukturen ohne sprachliche Vorbilder entwickelt haben. Denn selbst wenn die Strukturen wie aus einem „Selbstbedienungsladen" aus den Umgebungssprachen genommen wurden, wie kommt es dann zu einer solchen Einheitlichkeit? Und wie ist man zu der Übereinkunft gekommen, gerade diese, und nicht andere, Strukturen zu übernehmen?

Für eine Klärung dieser Fragen kann untersucht werden, ob sich diese Strukturen vielleicht auch in anderen Kreolensprachen der Welt in genau der gleichen Weise entwickelt haben (Punkt 2).

Ohne auf Einzelheiten einzugehen, sei dazu hier die von Bickerton erstellte Tabelle zur Konjugation der Verben abgedruckt (siehe nächste Seite), die drei verschiedene Kreolensprachen gegenüberstellt. Dabei handelt es sich um das bereits beschriebene Hawaii-Kreolisch, das auf dem Französischen beruhende Haiti-Kreolisch sowie das in Surinam gesprochene, auf dem Englischen, Spanischen und Niederländischen beruhende Sranan.

 

Die Konjugation der Verben in verschiedenen Kreolensprachen nach Bickerton (aus dem Scientific American 7/1983)

Verbalform

nicht-stativische Verben

stativische Verben

Englisch

Hawaii-Kreolisch

Haiti-Kreolisch

Srana

Hawaii-Kreolisch

Haiti-Kreolisch

Srana

Grundform:
He walked; He loved

He walk

Li maché

A waka

He love

Li rêmê

A lobi

vorzeitig:
He will/would walk; He will/would love

He bin walk

Li té maché

A ben waka

He bin love

Li té têmê

A ben lobi

irreal:
He will/would walk; He will/would love

He go walk

L'av(a) maché

A sa waka

He go love

L'av(a) rêmê

A sa lobi

nicht-punktuell:
He is/was walking

He stay walk

L'ap maché

A e waka

-

-

-

vorzeitig + irreal:
He would have walked; He would have loved

He bin go walk

Li t'av(a) maché

A ben sa waka

He bin go love

Li t'av(a) rêmê

A ben sa lobi

vorzeitig + nicht-punktuell:
He was/had been walking

He bin stay walk

Li t'ap maché

A ben e waka

-

-

-

irreal + nicht-punktuell:
He will/would be walking

He go stay walk

L'av ap maché

A sa e waka

-

-

-

vorzeitig + irreal + nicht-punktuell:
He would have been walking

He bin go stay walk

Li t'av ap maché

A ben sa e waka

-

-

-

 

Es stellt sich tatsächlich heraus, daß, abgesehen von oberflächlichen lexikalischen Unterschieden, alle drei Sprachen die gleiche Grammatik besitzen, die nicht derjenigen der Basissprachen entsprechen. Nicht nur, daß es die entsprechenden Partikel für die Bezeichnung der Zeiten, Modi und Aspekte (!) gibt, so haben sie auch eine feste Reihenfolge: Partikel der Vorzeitigkeit — Partikel des Modus — Partikel des Aspekts. Und es gibt noch weitere Hinweise für eine frappierende Gleichartigkeit von Kreolensprachen. So ist das französische Kreolisch auf den Maskarenen (La Réunion, Mauritius) fast identisch mit dem der französischen Karibik. Dies mag zwar auch mit dem Französischen als Basissprache zu tun haben, aber warum sollten die Kinder auf Mauritius und diejenigen auf Martinique die französische Grammatik oder die eines französischen Pidgin in genau der gleichen Weise abändern?

Es liegt also eher nahe, an eine den Menschen innewohnende Universalgrammatik zu glauben, die beim kindlichen Spracherwerb um so mehr an Bedeutung gewinnt, je weniger stabile sprachliche Vorbilder sie beeinflussen. Der dritte Untersuchungspunkt betrifft also folgerichtig den Spracherwerb bei Kindern.

Die Idee, daß Kindern eine Art Universalgrammatik angeboren ist, ist nicht neu und wurde bereits von Noam Chomski vom MIT seit 1959 postuliert. Er geht davon aus, daß dem Kind eine Vielzahl von Grammatiken neurophysiologisch zur Verfügung stehen, unter denen es diejenige auswählen kann, die seiner Sprachumgebung am besten entspricht. Eine Folgerung daraus wäre übrigens, daß für ein Kind keine Sprache leichter oder schwerer zu erwerben ist als irgend eine andere.

Nach Bickerton weisen die Untersuchungen an Kreolensprachen jedoch auf einen anderen Mechanismus hin. Es sieht nämlich so aus, als ob das Kind nicht aus vielen grammatikalischen Modellen auswählen kann, sondern lediglich ein einziges spezifisches Modell zur Verfügung hat. Und die entsprechende Grammatik ist eben die kreolische, die sich nur dann voll entfalten kann, wenn das Kind nicht durch ein anderes Modell seiner Umgebung daran gehindert wird.

Wenn diese Hypothese stimmt, sollte man also beobachten können, wie alle Kinder im Alter zwischen 2 und 4 Jahren immer wieder versuchen, ihre kreolische Grammatik anzuwenden, bis sie schließlich gezwungen werden, umzulernen. Tatsächlich finden sich viele Gemeinsamkeiten zwischen der Kindersprache und Kreolensprachen, zumindest im Englischen, wo dies von Bickerton untersucht wurde.

Zum Beispiel ist die doppelte Verneinung („nobody don't like me") in den Kreolensprachen grammatikalisch korrekt. Dies ist übrigens auch im Jiddischen der Fall (Jich hob nicht kein..."), wo der Druck, sich nicht so „falsch" auszudrücken, fern von Deutschland im Laufe der Jahrhunderte nachgelassen hat. Andere Beispiele, in denen die Konstruktion der Kinder exakt denen von Kreolensprachen entsprechen, sind: „I no like do that"; Johnny big more than me"; „I more better than Johnny" usw.

In dieses Bild paßt auch, daß dreijährige Kinder bestimmte Fehler nicht machen, obwohl der entsprechende grammatikalische Hintergrund kompliziert ist. So scheinen auch kleine Kinder bereits ein sehr genaues Gefühl dafür zu besitzen, welche Verben stativisch sind (von denen also keine Verlaufsform gebildet werden kann) und welche nicht. Der Fehler „I liking Mommy" kommt praktisch nicht vor. Im Lichte der Kreolistik ist dies jedoch selbstverständlich, denn die Unterscheidung zwischen stativischen und nicht-stativischen Verben ist in allen Kreolensprachen fundamental.

Gerade das letzte Gebiet, nämlich der Vergleich zwischen der Kindersprache und den Kreolensprachen, ist nach Bickerton jedoch noch unzureichend erschlossen. Insgesamt ergibt sich aber ein Bild, nach dem die Theorie des Kreolischen als die angeborene universelle Urgrammatik eine ernstzunehmende Alternative zu den Substrattheorien (Vermischungs- und Vereinfachungstheorien) darstellt. Außerdem lassen sich mit ihr vielleicht viel fundamentalere Fragen beantworten. Fragen nämlich, die den menschlichen Spracherwerb allgemein betreffen und das berühren, was den Unterschied zwischen Menschen und Tieren ausmacht.

 


 

Einige Kritische Stimmen zu Bickertons Theorie

 

Es ist eine Tatsache, daß Bickerton mit seiner Language Biogram Hypothesis großen Einfluß auf die Kreolistik hatte. Und zwar nicht nur auf sie, denn sein Buch „Roots of Language" wurde insbesondere auch von Psychologen gelesen, und im Jahre 1986 wurde in Amsterdam eine interdisziplinäre Konferenz über die Genese der Kreolensprachen abgehalten (Muysken und Smith 1986). Da ist es nur verständlich, daß eine solch dezidiert universalistische Theorie auch viele Kritiker auf den Plan ruft. Einige wenige Punkte seien hier kurz angeschnitten.

Zunächst sind es seine Erhebungsmethoden, die Bickerton schon in den frühen siebziger Jahren einen schlechten Ruf einbrachten. Es ging sogar so weit, daß man ihn der Manipulation von Daten bezichtigte. Auf jeden Fall ist aber zu kritisieren, daß Bickerton sich nicht scheute, Daten mit einer „schlechten Statistik" zu veröffentlichen, also zum Beispiel auch Äußerungen von sehr wenigen oder gar nur eines einzelnen Sprechern in seine Tabellen aufzunehmen (z.B. Holm 1988:59).

Im Zusammenhang mit der Datenerhebung ist außerdem zu bemerken, daß nur wenige Basissprachen (im wesentlichen Englisch und Französisch) zum Vergleich herangezogen wurden. Mühlhäuslers Untersuchungen an einer auf dem Deutschen beruhenden Kreolensprache, dem Unserdeutsch auf Neuguinea, zeigen fast keine von den von Bickerton postulierten Strukturen. Zum Beispiel gibt es dort, anders als in anderen Kreolensprachen, ein voll ausgebildetes Passiv: „Der Chicken war gestolen bei alle Rascal", während die Tempusformen weniger reichhaltig sind (Mühlhäusler 1986:222).

Auch allgemeine Fragen drängen sich bei einer universalistischen Theorie auf. Warum sind eigentlich all jene Sprachen entstanden, die nach Bickerton so völlig entgegen dem menschlichen Sprachkonzept gebaut sind?

Auf jeden Fall wird die Frage nach einem biologischen Sprachprogramm auch heute noch immer heiß diskutiert, und eine Entscheidung dafür oder dagegen ist nicht abzusehen (Mühlhäusler 1986:221). Vielleicht reichen sprachwissenschaftliche Ansätze zu einer Klärung nicht aus, so daß abgewartet werden muß, bis Neurologen und Naturwissenschaftler ihren Beitrag beisteuern können. Und vielleicht hat sich ja auch die Natur, was den Spracherwerb betrifft, gar nicht für eine einzige Lösung entschieden.

 


Literatur:

Bickerton, Derek: „Creole Languages", in: Scientific American, p. 106ff., Juli 1983
(Deutsche Übersetzung: „Kreolensprachen", in: Spektrum der Wissenschaft, p. 110ff., September 1983)

Chomski, Noam: „Aspects of the Theory of Syntax", MIT Press, Cambridge, Mass., 1965

DeCamp, David: „The Development of Pidgin and Creole Studies", in: Valdman (Ed.), 1977

Hall, Robert: „Pidgins and Creole Languages", Cornell Univerity Press, Ithaca, 1966

Holm, John: „Pidgins and Creoles", Cambridge University Press, Cambridge, 1989

Hymes, Dell (Ed.): „Pidginization and Creolization of Languages", Conference Proceedings, University of the West Indies, Jamaica 1968, Cambridge University Press, Cambridge, 1971

Mühlhäusler, Peter: „Pidgin & Creole Linguistics", Basil Blackwell, Oxford, 1989

Muysken, P. and G. Meyer (Eds.): „Substrata versus universalis in creole genesis", John Benjamins, Amsterdam, 1986

Schuchard, Hugo: „Die Lingua Franca", in: Zeitschrift für romanische Philologie 33, 1909


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