Mädchenheim für Managua

Eine Wohnstätte für gefährdete junge Frauen wird eingeweiht


Von Christoph Grandt, Managua

(veröffentlicht in der Zeitung "Central America Weekly")

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Sieben Mädchen finden ein neues Heim

„Ein lang gehegter Traum ist endlich wahr geworden", verkündete die Leiterin des Projektes, Doña Indiana, am letzten Sonntag bei der Einweihung des Mädchenheimes im ärmlichen Barrio San Judas, im Süden Managuas. Tatsächlich ist die Idee bereits vier Jahre alt, und erst im Juni 1998 konnte mit dem Bau begonnen werden.

Nun werden zunächst sieben zwölf- bis vierzehnjährige Mädchen in das geschmackvoll gebaute, durch den Innenhof und die Begrünung spanisch anmutende Gebäude einziehen. Es ist das Ziel, im Laufe der Zeit schließlich 42 jungen Frauen dort eine Heimstätte zu bieten und sie, wenn nötig, zu alphabetisieren sowie ihnen eine Schulausbildung zu ermöglichen.

Wer sind diese Mädchen? Sie kommen aus sogenannten kaputten Familien, in denen zum Beispiel die größere Schwester sich regelmäßig prostituiert, mit einer Mutter, die allem völlig gleichgültig gegenübersteht und mit einem Stiefvater, der nur auf eine günstige Gelegenheit wartet, um die Heranwachsende zu vergewaltigen, so wie er es bereits mit ihrer Schwester getan hat.

 

Drogen sind das Hauptproblem

„Dieses Mädchenheim soll unserer Arbeit in San Judas Kontinuität verleihen", sagte Doña Indiana. Und Kontinuität ist zweifellos vonnöten. Denn was nützt es, wenn ein Kind aus einer solchen Familie von der Straße geholt wird, damit es statt Autoscheiben zu putzen zur Schule geht, wenn es danach nach Hause zurückkehren muß, in die Enge einer Wellblechhütte, in der die Mutter sie schlägt und die Schwester vom großen Geld berichtet, das sie letzte Nacht verdient hat. Jede erzieherische Maßnahme von Außen ist unter diesen Umständen zum Scheitern verurteilt, und der tragische Werdegang dieses Kindes ist vorgezeichnet.

Dabei ist noch nicht einmal die Prostitution der entscheidende Faktor für die Zerstörung des Lebens dieser Mädchen, sondern vielmehr der Drogenkonsum, mit dem sie unweigerlich beginnen werden, sobald sie in die entsprechenden Kreise eintreten. Dies ist am wenigsten den naiven jungen Frauen selbst vorzuwerfen, sondern einer skrupellosen Drogenmafia, deren Programm es ist, die Mädchen systematisch süchtig zu machen. Und dabei haben sie angesichts der leicht und sehr billig zu bekommenden Droge Crack (hier piedra oder gargola genannt) oder noch einfacher mit dem Verkauf von Klebstoff (pega) leichtes Spiel.

 

Prävention statt Heilungsversuche

Die Lösung muß also lauten: Prävention statt Heilungsversuche! Dies haben Doña Indiana und ihre Mitarbeiter nach langjähriger erfahrungsreicher und auch leidvoller Arbeit mit den Kindern und Familien begriffen. Vor vier Jahren wurde deshalb die Idee einer casa de acogida, einer Heimstatt für Mädchen, geboren. Unter dem Dach der Communidades Eclesiales de Base einer kirchlichen Organisation, die ihren Projektleitern vor Ort, so auch Doña Indiana, größtmögliche Freiheiten läßt, wurde die Planung begonnen.

Nach langer Suche fanden sich Geldgeber in Spanien. Insbesondere die Städte Burgos, Hospitalet (Katalonien), Madrid und Salamanca beteiligten sich an der Finanzierung. Doña Indiana konnte dabei auf bestehende Kontakte zurückgreifen, denn es gibt parallele Projekte in San Judas, in denen gelegentlich spanische Freiwillige und Praktikanten arbeiten. Eines dieser parallelen Projekte ist eine Lehrwerkstätte, in denen die Mädchen des Viertels, und nun auch die Mädchen der casa de acogida, eine praktische Ausbildung erhalten. Es gibt Kurse im Frisör- und im Bäckerhandwerk sowie auch Computerkurse.

 

Vier Dollar pro Mädchen pro Tag

Die Gelder aus Spanien sind nach dem Bau der casa de acogida nun erschöpft, das Haus steht, die ersten sieben Mädchen sind eingezogen, und Doña Indiana sucht jetzt verzweifelt nach neuen Geldgebern. Sie ist auf private Spenden angewiesen, um das Projekt wie geplant weiterzuführen.

Es ist ja nicht mit dem Hausbau alleine getan: „Wir brauchen vier Dollar pro Mädchen pro Tag", rechnet Doña Indiana vor. Außerdem müssen die Gehälter der ständigen Mitarbeiter im Hause bezahlt werden. Es gibt eine Hausmutter, die dort mit den Mädchen wohnt und Hauptansprechpartnerin sein soll sowie eine Sozialarbeiterin, die die Gruppe regelmäßig besucht. Die Gehälter sind kärglich: nur 1500 Córdobas (ca. 130 Dollar) pro Monat bekommen sie.

„Natürlich ist unsere Arbeit nur ein Tropfen auf den heißen Stein", gibt Doña Indiana zu bedenken. Eine Fahrt durch das nächtliche Managua genügt, um ihr Recht zu geben. Welche Hilfe gibt es denn für diejenigen Kinder, die sich bereits im Drogen- und Prostitutionsgeschäft befinden und die deshalb nicht aufgenommen werden können? Doña Indiana zuckt mit den Schultern. Es gibt keine Hilfe. Am wenigsten vom Staat. „Deswegen versuchen wir ja, daß es erst gar nicht so weit kommt".

 

Ein letzter Rest von Verantwortungsgefühl

Meist akzeptieren die Familien, vielleicht mit einem letzten Rest von Verantwortungsgefühl, den Umzug des Mädchens in das neue Heim. Manchmal überwiegt jedoch der pure Egoismus, wenn das Mädchen von der Mutter im wesentlichen dazu gebraucht wird, ihre kleinen Kinder zu hüten, die sie jährlich in die Welt setzt, oder, noch schlimmer, wenn das Geld aus der Prostitution eigentlich recht willkommen ist. In einem solchen Fall muß Doña Indiana schwere Überzeugungsarbeit leisten.

Doña Indiana ist trotzdem zuversichtlich. Nach zwei Jahrzehnten Arbeit mit den Kindern im Barrio San Judas weiß sie, daß sie auf dem richtigen Weg ist. Und den Mädchen, die jetzt seit zwei Wochen in ihrem neuen Heim wohnen, sieht man an, daß sie glücklich sind. Keine Spur von Trauer darüber, daß sie ihre Familien verlassen haben. Und wenn alles gut geht, werden sie nun bis zu ihrem achtzehnten Lebensjahr in ihrer casa de acogida bleiben können und endlich die Möglichkeit haben, ein lebenswertes Leben zu führen.


April 1999


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