von Christoph Grandt, Managua
(veröffentlicht in der Zeitung "Central America Weekly")
Von Managua nach Comayagua
Für einen Reisenden mit eigenem Fahrzeug, der die langwierigen und undurchsichtigen Grenzformalitäten zwischen Nicaragua und Costa Rica kennt, erweist sich das Überqueren der Grenze an der kleinen, freundlichen Zollstation Las Manos zwischen Nicaragua und Honduras geradezu als Vergnügen. Dort zumindest ist ein Hauch von vereintem "Centroamérica" zu spüren. Ohne einen einzigen Córdoba (Nicaragua) oder Lempira (Honduras) bezahlt zu haben, sind innerhalb von zehn Minuten sämtliche Formalitäten erledigt - Honduras liegt vor mir.
Vier Tage habe ich zur Verfügung, um mir einen Eindruck über das mittelamerikanische Land zu machen.
Wer nun glaubt, mit dem Verlassen Nicaraguas nichts mehr von der Sandinistischen Revolution zu hören, irrt sich gewaltig. Die alte Hauptstadt Comayagua der Spanischen Provinz Honduras, die sich als erste Station auf dem Weg nach Norden anbietet, ist nämlich nicht nur steinernes Museum der Kolonialzeit mit drei beeindruckenden Kirchen, sondern immer noch Militärbasis der USA.
Vom Stützpunkt Sotocano aus, ein paar Kilometer von der Stadt entfernt, wurden in den 80'er Jahren die Contras beim Kampf gegen die Sandinisten in Nicaragua unterstützt. Waren es damals bis zu 10.000 Soldaten, so sind heute noch etwa 1.000 Amerikaner dort stationiert. Wer sie sehen will, geht ins "Haneman's Bar & Grill" am Boulevard von Comayagua. Dort führen die amerikanischen Soldaten abends ihre hondurenischen Freundinnen aus, die sich redlich bemühen, eine Konversation in englischer Sprache in Gang zu halten.
Besonders erwähnenswert sind die im Restaurant angebotene hervorragende Fischsuppe und die ausnehmend aufmerksame und freundliche Bedienung. Dollars werden selbstverständlich akzeptiert.
Tela Atlandide und die Garífunas
Kein Wegweiser zeigt an, wann von der Hauptstraße El Progreso - La Ceiba nach Tela links abgebogen werden muß. Tela, in der Provinz Atlantide, ist eine Kleinstadt am Meer mit zwei großen Attraktionen: Ihre schönen Strände und die nahe gelegenen afrikanischen Garífuna-Dörfer.
Schon das Straßenbild von Tela ist geprägt von einem Völkergemisch, das für die zentralamerikanische Atlantikküste so typisch ist. Aber die Geschichte der Afrikaner in Honduras ist eine ganz andere, als die ihrer Schwestern und Brüder in den Nachbarländern Nicaragua oder Costa Rica: Sie nennen sich Garífunas, stammen ursprünglich aus Westafrika, wurden von den Engländern auf die Karibikinsel St.-Vincent deportiert, vermischten sich dort mit den heute ausgestorbenen Caribe-Indianern und wurden schließlich im Jahre 1797 auf die hondurenische Insel Roatán gebracht. Von dort aus besiedelten sie, nach der Befreiung, die Küste und gründeten hier ihre Dörfer.
Die Einzigartigkeit der Küste Honduras rührt denn auch genau von diesen Dörfern her. Ein Spaziergang am Strand von Tela vier Kilometer nach Osten entspricht, symbolisch gesehen, einer 8000 Kilometer langen Fahrt über den Atlantik. Plötzlich befindet sich der Reisende gleichsam mitten in einem westafrikanischen Dorf: Strohhütten, afrikanische Kinder, Fischer in Einbäumen und Frauen, die entsprechend afrikanischer Kultur rhythmisch Getreide zerstampfen und dabei eine für den Außenstehenden völlig unverständliche karibisch-kreolische Sprache sprechen.
Nur am Wochenende weicht das ruhige Dorfleben einem Ausflugstourismus der "Weißen" aus Tela. Sie kommen dann in Scharen in die Dörfer, um in den aus Holz und Stroh aufgebauten Strandkneipen das hervorragende Essen zu genießen und sich später am Abend zu betrinken. Diese Wochenendbesuche scheinen inzwischen eine der Haupteinnahmequellen für die Garífunas zu sein.
Bisher sind die meisten Dörfer nur zu Fuß oder auf Staubstraßen zu erreichen. Meine Zimmerwirtin warnte mich in diesem Zusammenhang vor gelegentlichen Überfällen von jugendlichen Banden, doch habe ich persönlich, während meiner Reise durch Honduras, weder dort, noch an anderen Orten derartige negative Erfahrungen machen müssen. Östlich von Tela wird gegenwärtig eine neue, breite Teerstraße zur Küste angelegt.
Copan
Die Straße von San Pedro Sula nach Copan ist gut ausgebaut und durchzieht eine europäisch wirkende Landschaft, zunächst mit sanften grünen Hügeln, später gebirgiger werdend, mit Ausblicken auf weite Täler und auf spanisch anmutende, an Hängen erbaute Dörfer.
Wer Copan sagt, denkt an die Maya - Ausgrabungen, die zusammen mit denen von Tikal in Guatemala wohl zu den wichtigsten in Zentralamerika gehören. Aber 2 Kilometer westlich von den Ausgrabungen, am Ende der asphaltierten Straße, liegt das reizende Bergdorf Copan Ruínas. Hier sind wir schon fast in Guatemala und das Radio empfängt die Stationen Guatemalas besser als die aus Honduras.
Copan Ruínas hat spanisch - andalusisches Flair. Es gibt einen zentralen, begrünten Platz vor der Kirche, an dem sich abends die halbe Dorfjugend trifft und die neu angekommenen, oft ziemlich albern aussehenden, Rucksacktouristen bestaunt und gelegentlich auch mit diesen flirtet.
Jene Aufmerksamkeit erregenden, ausländischen Wesen besuchen abends ihre "eigenen" Kneipen, in denen amerikanische Filme gezeigt werden, es indisches Tandoori-Huhn zu essen gibt und in "Traveller" - Englisch oder auch Deutsch die neuesten Reiseinfos ausgetauscht werden.
Hier kreuzen sich die Wege derer, die nun nach Süden ziehen, und erfahren wollen was es denn in Nicaragua zu sehen gibt (und sich fragen, wie sie durch den Darién kommen), mit denen, die nach Norden ziehen und sich unsicher sind, ob Zeit und Geld wohl noch bis Mexico reichen. Und die zünftige Unterkunft versteht sich natürlich einschließlich der Benutzungsmöglichkeit von e-mail und Internet.
Die Ausgrabungsstätte selbst ist außerordentlich gut gepflegt, und es darf auf den meisten Tempeln sogar herumgeklettert werden. Wer sich für eckige, quadratische Architektur begeistern kann, ist hier am richtigen Ort.
Es kann empfohlen werden, gleich zur Öffnung der Anlage um 8 Uhr morgens dort zu sein. Mit Glück, als erster Besucher, können die Tempel und Stelen, geheimnisvoll verlassen auf dem Feld stehend, in aller Beschaulichkeit bestaunt werden. Es werden Führungen angeboten, und eine reizvolle, junge Dame macht sie sogar in deutscher Sprache.
Auf jeden Fall lohnt der Besuch des Museums, in dem Kopien der wichtigsten architektonischen Details ausgestellt und erklärt sind, sowie des kleinen Buchladens in der Eingangshalle. Dort gibt es aufschlußreiche Broschüren über die Ausgrabungsstätte sowie interessante Bücher über die Ethnographie von Honduras.
La Esperanza und die Rückreise
Um die Benutzung der Hauptstraße nach Tegucigalpa zumindest teilweise zu vermeiden, bietet sich eine Abkürzung über die Berge im Westen an. Dies sei aber nur denen zu empfehlen, die viel Vertrauen in das Fahrgestell und die Reifen ihres Wagens haben, denn die Straße zwischen Gracias und La Esperanza ist nicht asphaltiert und in schlechtem Zustand. Etwa sechs bis sieben Stunden muß für die Strecke Copan-La Esperanza eingeplant werden. Für all die Mühe winkt als Belohnung jedoch eine wunderschöne grüne Gebirgslandschaft.
Auch hier in diesem abgelegenen Gebiet ist in den weißgetünchten Dörfern und den übergroßen Kathedralen die spanische Kolonialgeschichte sichtbar. Gleichzeitig begegnet einem gerade hier aber auch die präkolumbianische Zeit, denn die Volksgruppe der Lenca, mit ihren bunten Trachten, dominiert hier die Marktflecken. Ihre Sprache ist etwa seit der Jahrhundertwende ausgestorben, aber die religiösen Vorstellungen und Rituale, die inhaltlich mit den Lebenszyklen zu tun haben, sind lebendig.
Als ich abends in La Esperanza ankam, war kaum ein Zimmer zu finden, denn es wurde dort gerade eine Konferenz der Lehrervereinigung von Honduras abgehalten, die ihre Beschlüsse und Wünsche der Regierung vorlegen wird. Es ging u. a. um die Erhöhung der Altersversorgung. Ein Sekundarschullehrer, mit einem mittleren Gehalt von 3000 Lempiras (= US$230) pro Monat bekommt schließlich etwa 30% davon als Rente. Dies reicht auch in Honduras nicht zum Leben.
La Esperanza besitzt eine kleine Kapelle, auf einer Anhöhe gelegen und mit Treppenstufen zu erreichen. Von einem Felsvorsprung bietet sich ein herrlicher Blick auf den Ort und die Berge. Nach Einbruch der Dunkelheit treffen sich dort Jungen und Mädchen des Dorfes, die, wie überall auf der Welt, kichernd versuchen, sich näher zu kommen. Selten habe ich dafür eine schönere Stelle gesehen.
An der Grenze von Las Manos, nach einem kurzem Zwischenstopp in Tegucigalpa, begrüßen mich die Beamten wie einen alten Freund, und es geht noch schneller als bei der Einreise. Einige Stunden später sehe ich kurz nach Einbruch der Dunkelheit von einer Anhöhe aus die ersten Lichter Managuas.
August 1998